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Designs für hermeneutische Forschung


In der Pädagogik hat sich Mitte der 1970er Jahre das Verständnis von Hermeneutik in methodologischer Hinsicht weiterentwickelt. (vgl. Klafki) Seitdem integriert hermeneutisches Forschen – je nach Forschungsintention – auch empirische und ideologiekritische Untersuchungen, um die Frage nach dem Verstehen, dem Sinn und der Bedeutung pädagogischer Texte (i.w.S.), Probleme und Handlungen beantworten zu können. Allgemeiner Forschungsgegenstand der pädagogischen Hermeneutik ist das pädagogisch-didaktische Denken und Handeln in seinen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten – synchron und diachron, systematisch und vergleichend. In der Schulpädagogik als einer Teildisziplin der Allgemeinen Pädagogik/Erziehungswissenschaft geht es konkret um Fragen der individual-sozialen Persönlichkeitsentfaltung von Kindern und Jugendlichen durch Erziehung und Bildung in der gesellschaftlichen Institution Schule zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten geografischen Raum.

Die so präzisierte hermeneutische Forschung umfasst:

  • Werkanalysen, Textanalysen und Bildanalysen: Bei Forschungen dieser Art werden beispielsweise das (Gesamt-)Werk eines Pädagogen/Schulpädagogen (z. B. J. F. Herbart), Texte, Bilder oder Narrationen mit pädagogisch/schulpädagogisch relevanten Inhalten (z. B. Veröffentlichungen zum Bildungsideal einer bestimmten Zeit; Bilder aus der Schulgeschichte; verschriftlichte narrative Interviews in der Biographieforschung o.ä.) untersucht.
    Der Forschungsprozess beginnt hier (1) mit der Forschungsfrage und der Klärung des Vorverständnisses auf Seiten des Forschers; es folgen dann (2) Detailanalysen zu dem als Ganzheit betrachteten Werk/Text/Bild (bzgl. Autor, Quellenkritik, Textkritik, Textstruktur/Bildstruktur, zentrale Inhalte/Aussagen, Sprache, Stilmittel, Gestaltungsmittel beim Bild, Problemsicht zur Zeit der Entstehung des Werks/Textes/Bildes, logische Stimmigkeit, argumentative Entwicklung der Textaussagen, Diskursanalyse zur Konstellation von Wissen, Macht und Subjekt); komplettiert werden diese werk- bzw. text-/bild-immanent erhobenen Details (3) durch rezeptions- und wirkungsgeschichtliche Recherchen, die (4) anschließend mit empirischen Daten und ideologiekritischen Überlegungen konfrontiert oder ergänzt werden. Aus all dem erwächst (5) dann eine koordinierende Interpretation des Werks, Textes oder Bildes.
    Ein Augsburger Forschungsschwerpunkt liegt hier auf der Schulbuchforschung.

  • Dokumentenanalysen: Dokumente zu pädagogisch/schulpädagogi-schen Sachverhalten sind vielfältiger Art (z. B. Urkunden, Akten, Chroniken, Filme, Bilder, Fotos, Lexikonartikel, Zeitschriftenbeiträge, Zeitungsartikel, Medienberichte, Tagebücher, Interneteinträge usw.). Die Analyse solcher Dokumente kann zwei Forschungszielen dienen: einerseits der Datenerhebung zu einem pädagogisch-schulpädagogischen Sachverhalt, Problem, Verhalten oder Handeln und andererseits der Interpretation dieser Dokumente hinsichtlich der in ihnen zum Ausdruck gebrachten Sicht des Pädagogischen. Im Kontext der hermeneutischen Forschung gelten Dokumente als Bedeutungsträger, die – vergleichbar den Texten und der Textanalyse - ausgewertet werden können. Infolgedessen richtet sich das pädagogische Forschungsinteresse auf den Inhalt der Dokumente, auf die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung. Nicht selten erwachsen aus einer solchen Dokumentenanalyse Forschungsfragen und Hypothesen, die empirisch überprüft werden.

  • Pädagogisch-didaktisches Handeln und Verhalten: Alles, was Kinder, Jugendliche und Erwachsene in pädagogischen Institutionen oder didaktischen Situationen sagen oder tun und was wahrgenommen werden kann, unterliegt Prozessen der Deutung und des Verstehens. Um hier deuten und verstehen zu können, kooperiert die hermeneutische Forschung mit der Empirie und der Ideologiekritik. Am Anfang eines solchen Forschungsprozesses stehen zuerst zufällige, später dann systematische Beobachtungen zu pädagogisch relevantem Handeln und Verhalten (z.B. von Lehrern/Lehrerinnen, Schülerinnen/Schüler, Eltern usw.), aus denen der Forscher seine Forschungsfrage und die Richtung seiner Analyse entwickelt. Im Sinne einer „pädagogischen Tatsachenforschung“ (P. Petersen) wird dann das zu analysierende und auszuwertende Handeln und Verhalten im realen Entstehungs- und Bedingungskontext videographisch aufgezeichnet. Die Videographien werden anschließend transkribiert, um kategorialanalytisch bearbeitet werden zu können. Die dazu erforderlichen Kategorien müssen definiert und mit Ankerbeispielen präzisiert werden. Das aufgezeichnete Material wird schließlich in Analyseeinheiten zerlegt, die nach den Kategorien abgesucht werden. (vgl. Mayring) Diese qualitativ-empirisch erstellte Untersuchung führt bereits zu Ergebnissen und Antworten auf die Forschungsfrage; die Interpretation des Handelns und Verhaltens erschöpft sich aber nicht darin. Sie muss in zwei Richtungen hermeneutisch weitergedacht werden: einmal um die Relevanz des Analyseergebnisse für die Bestimmung „des Pädagogischen“ systematisierend herauszuarbeiten, und zum anderen um die Intentionen und Perspektiven der beteiligten Personen einzubeziehen und deren Deutungen zu den Handlungssituationen zu erfassen. Das Forschungsergebnis wird dadurch erst eine koordinierende Interpretation des pädagogisch-didaktischen Handelns und Verhaltens.