Die 8. Ausgabe der Kunstbiennale in Liverpool hatte zum Motto: A Needle Walks into a Haystack und wurde dieses Jahr von Mai Abu ElDahab und Anthony Huberman kuratiert.

Am ersten Exkursionstag (18.10.2014) wurden die verschiedenen über die Stadt verteilten Ausstellungsorte erkundet. Die Gruppe traf sich zunächst am Hauptausstellungsort, The OLD BLIND SCHOOL, eine ehemalige Blindenschule, deren Gebäude sich aber aktuell völlig entkernt zeigt. Nach einer kurzen Einführung wurde die Gruppe mit Beobachtungsaufträgen in die Ausstellung geschickt. Es galt, auf der Entdeckungstour einen Film zu drehen, Aufsichten nach ihren Lieblingskunstwerken zu befragen, Publikumsverhalten zu beobachten sowie den thematischen Zusammenhang der Ausstellung herauszufinden.

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The Old Blind School, Liverpool, Ausstellungsraum

Besonders beeindruckte der äußerst verwinkelte Ausstellungsort an sich. Durch die vielen Gänge und die abgerissenen Tapetenstrukturen der Ausstellungswände glich der Erkundungsgang einer archäologischen Unternehmung zum Heben der zeitgenössischen Schätze: etwa die Eis blubbernde Eismaschine des Künstlerkollektivs Norma Jeane, Judith Hopfs Seilarrangements und Kartonschafe, Peter Wächtlers Videofilme und Illustrationen über unbeachtete beobachtende Butler, Nicola L.s Private White Room als Anspielung auf den White Cube, William Leavitts Ölbilder zu Privathäusern, die von außerirdischen Elementen gestört werden, Christina Rembergs kleinformatige Zeichnungen von Kleidungsstücken als intime Statements zur Weiblichkeit, Michael Stevensons Türeninstallation, die mit dem push-pull-Effekt und der Willkür des Zufalls spielt, Amelie von Wulffens aquarellierte Zeichnungen von vermenschlichten Lebensmitteln, die unseren Lebensalltag widerspiegeln, Rana Hamadehs Klanginstallation zu einem religiösen Ritual, Marc Bauers Zeichnungen der Zimmer, die er in Liverpool besuchte oder in denen er lebte, sowie die Videoarbeiten von Uri Aran und  Louise Hervé & Chloé Maillet, in denen private Hobbies zu medial gespiegelten Ereignissen wurden.

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Michael Stevenson, Doors from the LJMU’s School of Computing and Mathematical Sciences

Im Anschluss ging es in das Ausstellungszentrum FACT, wo eine Videoinstallation von Sharon Lockhart zu sehen war über polnische Hinterhöfe, in denen Kinder ihre Fantasieräume bespielen. Hier kristallisierte sich eine erste Vermutung zum thematischen Kontext heraus: Private Räume wurden vor dem Hintergrund der Globalisierungsthese aufgespürt.

Die nächste Station  war das Familienzentrum The BLUCOAT, in dem ein riesiger Raumteiler, bemalt  und mit Keramiken bestückt von James McNeill Whistler das Thema Private Räume mit der Vergangenheit und der Stadtgeschichte verknüpfte.

Den Abschluss bildete die Besichtigung der TATE LIVERPOOL, in der die ständige Sammlung neu arrangiert wurde, um sich in das Biennale-Thema einzupassen. Der französische Architekt und bildende Künstler Claude Parent hatte zudem eine ganz eigene Holzstruktur in die Räume des Erdgeschosses eingebaut, die den Besucher über Holzbrücken und hinter Gazestoffe führte, sodass unvermutet Privaträume im großen Ausstellungsraum entstanden.

In der TATE MODERN hielt die Gruppe ihre erste abschließende Besprechung über die ersten Eindrücke ab.

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Exkursionsgruppe

Am nächsten Morgen (19.10.2014) wurden die Videoarbeiten von Jef Cornelis in der Wohnlage von St. Andrews Gardens  gemeinsam angesehen. Vor Ort erhielten die Studierenden eine kleine Einführung in das komplexe Werk Cornelis’. Die nächste Station war das Walker Art Center, wo als Begleitveranstaltung der Biennale die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler der John Moores Painting Prize-Verleihung ausgestellt wurden. Hier hatten die Exkursionsteilnehmerinnen den Auftrag, für sich das beste Kunstwerk auszuwählen. Über die Auswahl wurde die Ausstellung dann gemeinsam begangen und die jeweilige Wahl begründet. Schließlich wurden die von der offiziellen Jury ausgelobten Kunstwerke und ihre Relevanz für die zeitgenössische Kunst besprochen.

Am Nachmittag fand sich die Gruppe wieder an der OLD BLIND SCHOOL ein, wo der Kurator Anthony Huberman durch die Ausstellung führte.

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The Old Blind School, Liverpool

Die klassische personale Vermittlung brachte zusätzliche Erkenntnisse über die Auswahl des Ausstellungsortes und der Künstlerinnen und Künstler sowie Hintergrundinformationen zu einigen Installation, die sich nicht unbedingt alleine vom Betrachter erschließen ließen. Im Anschluss bekamen die Studierenden zudem Zeit, sich in Ruhe nochmals mit allen Kunstwerken auseinanderzusetzen. Um 16:30 Uhr traf sich die Gruppe schließlich in einem Seminarraum, um über das Ausstellungssetting und die Vermittlungsangebote zu sprechen, den Bezug der Ausstellung zur Stadt Liverpool zu diskutieren sowie die Bedeutung von Biennalen für die Gesellschaft zu reflektieren.

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Walker Art Center, Liverpool, Vermittlungsangebot

Die letzte halbe Stunde vor Ausstellungsschluss wurde genutzt, um eine begleitende Fotoausstellung in der OPEN EYE GALLERY gemeinsam zu begehen. Zu sehen waren Hans Haackes Fotografien der Documenta 2 von 1959, Ugo Mulas Dokumentation der Unruhen 1968 auf der Biennale in Venedig, Arbeiten von Christina de Middel über die Zukunft der Liverpool Biennial und Ira Lombardias visuelle Infiltrationen des Biennalekatalogs.

Der Vormittag des 20.10.2014 führte in die John Lennon Art & Design School, wo sich die Studierenden ein Bild von der Liverpooler Kunstszene der 1960er-Jahre machen konnten. Gezeigt wurde das Gesamtkunstwerk von Adrian Henri, der neben Roger McGough und Brian Patten zu den Liverpool Poets zählt. Diese Ausstellung war vor allem im Hinblick auf die Kulturgeschichte der Stadt und die Biennaletradition Liverpools interessant. Mit dem Bus ging es dann am Nachmittag nach London.

Am 21.10.2014 stand für den ganzen Tag die ständige Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst der TATE MODERN LONDON auf dem Programm. Die Studierenden bekamen zu Begin des Rundgangs, der über drei Etagen ging, verschiedene Vermittlungsmetoden an die Hand. Ihre erste Aufgabe war, zu überprüfen, inwiefern diese Methoden auch für Gegenwartskunst geeignet sind. Die zweite Aufgabe bestand darin, je ein Werk aus dem gleichsam durch das Museum erstellten Kanon moderner und zeitgenössischer Kunst zu wählen, bei dem eine Beziehung zu einem auf der Liverpooler Biennale ausgestellten Kunstwerk bestand. Bei dem anschließenden gemeinsamen Rundgang konnten so noch einmal Strategien und Strukturmerkmale moderner und zeitgenössischer Kunst besprochen werden. Gerade im Hinblick auf die Kunstwerke der TATE MODERN LONDON, die bei Plastik und Fotografie Schwerpunkte setzt, fiel auf, dass die Werkauswahl von Mai Abu ElDahab und Anthony Huberman in Liverpool die Bereiche Plastik (mit einer Ausnahme) und Fotografie völlig ausgeschlossen hatte. Besonders stark vertreten waren die klassischen Medien Malerei und Zeichnung sowie Videoarbeiten, die tendenziell aktuell einen auffallend malerischen Charakter aufweisen. Ferner hatten die kleinen Formate überrascht, die jedoch konsequent das Leitthema der Privaten Räume unterstrichen.