Theorie und Praxis: Räumliches Gestalten in der Projektarbeit

Auf das Seminar mit dem allgemeinen Titel Räumliches Gestalten in der Projektarbeit haben sich acht Studierende eingelassen. Jede/r von ihnen hat bereits Erfahrung mit mehreren Materialien im Raum und der Projektarbeit auch außerhalb der zum Studium gehörenden Projekte am Lehrstuhl. Das KompetenzNetz Demenz – ein Projekt der SIC Gesellschaft für Forschung, Beratung, Organisationsentwicklung und Sozialmanagement mbH der AWO - hatte sich aus Anlass seines 10jährigen Jubiläums für ein Ausstellungsprojekt an die Kunstpädagogik der Uni gewandt und wurde so zu unserem Projektpartner in diesem Seminar.

Ausgehend von Vorbildern seit der klassischen Moderne mit Beispielen des Neuen Realismus und der Objektkunst und eigenen Vorerfahrungen und Präferenzen bei Material und Technik gestalteten die Studierenden zunächst Objektkästen (Abb. 1). Sie können als Bildträger und Raum im kleinen Format gleichermaßen – als Bild, das in den Raum greift - gesehen werden. Anschließend wurde aus den eigenen Silhouetten, dem Auf- und Seitenriss des eigenen Kopfes eine Kartonplastik gefertigt (Abb. 2). Der Zusammenhang von Fläche und Raum sollte hier vertieft und das KompetenzNetz Demenz motivisch eingeführt werden.

Claudia Zerbe und Doris Kettner vom KompetenzNetz Demenz kamen in unser Seminar um Demenz  vorzustellen. Demenz bedeutet Beeinträchtigung von Gedächtnis, Orientierung, Denkvermögen und Sprache. Die Furchen eines gesunden Gehirns werden zu schwarzen Löchern, die durch zunehmende Eiweißablagerungen in den Nervenzellen und Nervenbahnen entstehen. Der amerikanische Künstler William Utermohlen (1933-2007) bekam 1995 die Diagnose Alzheimer und hielt seinen Krankheitsverlauf in Selbstportraits fest – sie sind wie ein Gang durch verschiedene Stile der Kunstgeschichte.
Innerhalb des Seminars gab es die Möglichkeit am Fachtag KunstZeit - Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz im Ausstellungs- und Museumsraum des Münchner Kulturreferats teilzunehmen. In Vorträgen und Workshops wurde mögliche Teilhabe von Psychiatern, Kunst- und Musiktherapeuten, Tänzern und Dichtern in vier Museen vorgestellt.

Unter dem Eindruck dieser Vorarbeiten sollten die Studierenden nun ein räumliches Werk entwickeln, das Erlebniswelten und Sinneseindrücke von Demenzkranken und ihren 

(pflegenden) Angehörigen ausdrückt. In Exposés oder Prozesstagebüchern haben sie die Verzahnung von Material, technischer und inhaltlicher Verarbeitung, Aspekten der Krankheit und einhergehender Phänomene dargestellt.

Die Drahtplastik Veronika Rietzlers mit dem Titel Verwirrung (Abb. 3) geht auf ihre frühkindlichen Erfahrungen mit ihrer dementen Oma zurück. Draht mit seine Eigenschaften – Linien im Raum, wirr bzw. angeordnet, biegsam und formbar – hat sich als unbedingter Werkstoff angeboten. Mit ihm lassen sich Substanz und Leere gleichermaßen ausdrücken, so dass er in der Arbeit Charlotte Kochs noch einmal auftaucht. Die figürliche Drahtplastik vor einer abstrakten Malerei soll zusammen mit dem Betrachter ein Environment bilden.

Mit dem Kopf als Motiv beschäftigen sich außerdem Jessica Seiler und Jennifer Chamier: Frau Seiler fertigte einen weißen Pappmachéekopf mit flachem Profil, der am Hinterkopf Löcher aufweist, aus denen Licht und Schatten sich abwechseln. Die beiden Gipsköpfe Frau Chamiers symbolisieren ein Anfangs- und Endstadium der Demenz. Die Farbe Weiß als Nichtfarbe bzw. unbunte Farbe, auf die projiziert werden kann, die hell, rein und vermeintlich neutral ist, spielt auch in anderen Werken eine Rolle.

Luana Bauers String Art ist ein Netz aus bunten Fäden in einem weißen sechseckigen Rahmen aus gebrauchtem Lattenrost, gerissene Fäden werden von weißer Farbe getränkt nach unten gezogen. Der Schatten von Rahmen und Fadengeflecht wird auf eine weiße Fläche am Boden geworfen.

Meine eigene Arbeit ist aus der Beschäftigung vor und im Seminar entstanden. Aus Karin-Sophie Richter-Reichenbachs Publikation Identität und ästhetisches Handeln fielen mir gipsplastisch abgenommene  Körperteile in einem Rahmen auf. Eine Bildhauerzeichnung von Otto Waldemar (*1929) inspirierte mich dazu Körperfragmente in einem Paravent räumlich anzuordnen. Das Beispiel William Utermohlens brachte mich darauf die Körperteile auf Paraphrasen zu Werken der Kunstgeschichte – Dürers großes Rasenstück, Max Beckmanns Tanz in Baden-Baden und Velazquez’ bzw. Francis Bacons Papst Innozenz - zu montieren. Die Malereien sind das einzig Farbige auf weißem Bildgrund, weißen Rahmen und Paravent unter weißen Körperfragmenten. Sie stellen Erinnerungsfetzen – Füße auf Gras, Rücken beim Tanz, das Posieren – dar.

Den Akt des Erinnerns als identitätsprägend thematisiert auch Luzia Kink. Persönliche Erlebnisse, Erinnerungen, Eindrücke, Gedächtnisfragmente aus ihren ersten 10 Lebensjahren sollen angelehnt an die surrealistische Écriture Automatique als Texte und Zeichnungen auf langen Papierbahnen entstehen und von der Decke hängen.

Simone Keil hängt ein Mobilé aus Fotocollagen ihrer Familienmitglieder an einen Fahrradreifen, unter den sich der Betrachter stellen soll. Mit den Abbildungen versucht sie Empfindungen ihrer dementen Oma nachzuvollziehen. Deren nächste Angehörige sind über- und nebeneinander, ineinander fließend, mit Überschneidungen und unterschiedlich starker Sättigung in einem Alter zu sehen, in dem ihre Oma sie noch (er)kennt und für sich ‚eingefroren' hat.

Johannes Geltl plante eine ähnlich sehr persönliche Installation aus einem Holzstamm vor einer Schieferplatte auf drei Stelen zu seiner Großmutter, die nicht mehr realisiert werden konnte.

Die Werke zum Projekt sind in einer Ausstellung zum 10jährigen Bestehen des KompetenzNetz Demenz vom 19.-21.5.2017 in der Projektschmiede Lechhausen zu sehen.