Indikatoren zeichnerischer Begabung bei Kindern und Jugendlichen

Monika Miller

Die Forschungsarbeit befasst sich in einem theoretischen und einem empirischen Abschnitt mit der zeichnerischen Begabung bei Kindern und Jugendlichen.
In dem ersten theoretischen Teil wird sowohl ein Überblick über die Forschungsgeschichte als auch über den aktuellen Forschungstand geliefert, mit der Intention, Indikatoren für zeichnerische Begabung zu ermitteln. Dabei wird auch die Literatur aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum mit berücksichtigt.
In dem zweiten empirischen Teil werden Kinder und Jugendliche, die wegen ihrer altersuntypischen Zeichnungen auffallen, videografiert während sie nach einem Motiv zeichnen. Diese ausgewählten Heranwachsenden beginnen bereits in der frühen Kindheit fortgeschrittene Raumsysteme zu entwickeln, stellen ungewöhnliche Themen dar und zeichnen bereits komplexe Objektansichten mit Überschneidungen und Überdeckungen. Von ihrer Umgebung werden diese Kinder und Jugendlichen als begabt wahrgenommen.
Die Beobachtung der Zeichenvorgänge sollte einen Einblick liefern, wie diese Zeichner ihre Bildlösungen entwickeln, auf welche bildnerische Strategien sie dabei zurückgreifen bzw. wie sie diese – während sie zeichnen – weiter ausbauen.
Die Analyse der aufgezeichneten Zeichenprozesse veranschaulicht verschiedene Dimensionen der grafischen Handlungen. Die Fähigkeit zeichnen zu können basiert zum einen auf der genauen Beobachtung der gegenständlichen Wirklichkeit, zum anderen auf dem Vermögen, die beobachteten Formen auf der Zeichenfläche in Form von Linien und Flächen zu organisieren. Im Zeichenvorgang wird die Wahrnehmung durch die wechselwirksamen Prozesse zwischen Erkennen und Darstellen gleicherweise gelenkt und fokussiert, weil durch das Zeichnen bedeutende Zusammenhänge zwischen der Anschauung und der Vorstellung gebildet werden und eine besondere Form des Austauschens zwischen »Innenwelt« und »Außenwelt« ermöglicht wird. Die begabten Zeichnerinnen und Zeichner zeigen bestimmte Strategien für die Organisation der Abläufe: erstens für die Organisation und Strukturierung der Bildraumfläche und dadurch auch für die Wiedergabe der beobachteten räumlichen Anordnung. Zweitens können bestimmte Regelmäßigkeiten in der Wahrnehmungsorganisation beobachtet werden, speziell dabei, wie sie ihre visuelle Aktivität in Wechselwirkung zwischen dem Motiv und der Zeichenfläche koordinieren. Die Vorstellungsbildung, die für die zeichnerische Umsetzung eines beobachteten Motivs Voraussetzung ist, wird hierbei in gleicher Weise von dem Motiv und der Zeichnung beeinflusst. Von Bedeutung ist dabei, dass die Kinder aus der komplexen Anordnung der Objektgruppe nur relevante Informationen extrahieren, um diese dann in Form von Linien auf der Zeichenfläche umzusetzen. Sie gehen dabei von Flächen, Umrissen und Binnengliederungen aus. Zum einen erkennen sie die Gesamtheit der Formanordnung im Motiv, zum anderen auch die Anordnung der einzelnen Flächen und ihre proportionalen Verhältnisse zueinander sowie die auffälligen Strukturen. Ihre detailreichen Zeichnungen zeigen, dass ihre Beobachtungen sehr differenziert sind. Drittens beeindruckt gerade der spielerisch gekonnte Umgang mit der Linie. Während des gesamten Zeichenvorgangs können zudem wiederholt Phasen beobachtet werden, in denen sie Linienverläufe an schwierigen Stellen regelrecht einüben.

  • Miller, Monika: Indikatoren zeichnerischer Kompetenzen bei Kindern beim Zeichnen nach einem Motiv. Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Vorstellungsbildung und Bildmotiv. In: Kirchner, Constanze/ Kirschenmann, Johannes/ Miller, Monika (Hg.): Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven. München 2010, S. 73-85.