Einführende Worte Prof. Dr. C. Kirchner

Zur Eröffnung der Ausstellung „Panorama“

Constanze Kirchner

Die Ausstellung zeigt Fotografien von Walter Käsmair – zum Gedenken an unseren langjährigen Kollegen, der völlig unerwartet im Herbst letzten Jahres verstorben ist – unvermittelt aus dem Leben und seiner Arbeit gerissen. Im April 2017 wäre er gerade erst 60 Jahre alt geworden.

Zur Lehre an der Universität Augsburg

Weit über zwanzig Jahre hinweg hat Walter Käsmair am Lehrstuhl für Kunstpädagogik gelehrt. Ganz genau lässt sich der Zeitraum nicht bestimmen, da er bereits als Student und Tutor Lehrveranstaltungen zur analogen Schwarz-Weiß-Fotografie angeboten hatte. Rechnet man, dass er über 50 Semester hinweg mit jeweils vier Seminaren unsere Studierenden ausgebildet hat, dürfte er mindestens 2000 Studierenden das Fotografieren beigebracht haben.

Walter Käsmair lehrte das Fotografieren grundständig: Kameratechnik, das Entwickeln von Filmen und Bildern in der Dunkelkammer. Das reiche Spektrum seiner engagierten Lehrtätigkeit umfasste die Grundlagen der Fotografie in Theorie und Praxis sowie weiterführende Seminare, die das Medium der Fotografie in verschiedenen Facetten vertieften.

Walter Käsmair begleitete auch zahlreiche universitäre Exkursionen, um mit seinen Seminarteilnehmenden Naturimpressionen einzufangen, architektonische Situationen zu erfassen, Land Art in Szene zu setzen und den Blick der Studierenden für das fotografische Motiv zu schärfen.

Er nahm mit seinen Lehrveranstaltungen an Aktionen und Projekten des Lehrstuhls für Kunstpädagogik teil und war zuverlässiger Partner im Mitarbeiterteam.

Die Fotografien, die in studentischen Abschlussausstellungen zu sehen waren, sind eindeutig als Resultat seiner Lehre erkennbar und zeugen von seiner intensiven Vermittlungsarbeit: Sanfte Lichtspiele, experimentelle Zeichnungen mit Licht, bezaubernde Landstriche, imposante Natureindrücke, grafische Architekturausschnitte, stimmungsvolle Plätze, digital aufbereitete Farbkompositionen und ausdrucksstarke Motive prägen die fotografischen Werke unserer Studierenden.

Dabei war es ihm als Dozent ein Anliegen, nicht nur das Technische zu vermitteln, sondern vor allem den Blick für das Besondere zu schärfen, z.B. den Ausschnitt, den Lichteinfall, die Dynamik, die spannungsvolle Komposition. Er konnte außerordentlich viel Zeit in die Motivsuche investieren. Nicht das Ausprobieren stand im Vordergrund, sondern das perfekte Foto.

Das heißt aber nicht, dass Walter Käsmair in seinen Lehrveranstaltungen nicht experimentiert hätte: Ganz im Gegenteil, er war immer sehr experimentierfreudig! Das „Malen mit Licht“ – also Langzeitbelichtung, um Lichtspuren festzuhalten, - war eines seiner großen Themen mit den Studierenden. Andere Themen waren die Bereiche der Landschafts- und Architekturfotografie in Augsburg und Umgebung und – in jüngster Zeit – die digitale Farbfotografie mit entsprechender Bildbearbeitung.

Walter Käsmair hat seinen Studierenden sehr viel Zeit zur Verfügung gestellt. Das Labor in der Schillstraße – unser Standort bis ins Jahr 2012 – hatte lange wöchentliche Öffnungszeiten – nicht zuletzt, weil er dort selbst künstlerisch gearbeitet hat.

Ein Ergebnis seines experimentellen Tuns stellt das mehrteilige Werk mit den schmalen Holzrahmen im südlichen Gang dar, das uns Norbert Winter zur Verfügung gestellt hat. Es zeigt die Bewegung von Studierenden, die interessanter Weise über das Weiterspulen des Films aufgezeichnet wurde. Und, es ist zwar ein mehrteiliges, aber es ist ein Werk!

Walter Käsmair hat sich weit über das übliche Maß hinaus für die Arbeit an unserem Lehrstuhl und auch für die Universität Augsburg eingesetzt. Es war ihm beispielsweise ein großes Anliegen, das Fotolabor von unserem Standort in der Schillstraße 100 auf dem Campus zu installieren. Die Einrichtung der neuen Fotowerkstatt hier im Neubau für Kunst und Musik wurde von ihm betreut, und er hat für einen zeitgemäßen Standard der Fotowerkstatt gesorgt.

Ein anderes großes Projekt war seine Mitarbeit an der im Jahr 2005 erschienenen Broschüre „Kunst am Campus“. Hierfür hatte Walter Käsmair viele Kunstwerke auf dem Campus der Universität Augsburg fotografiert. Um interessante Lichtsituationen zu schaffen oder grafische Strukturen herauszuarbeiten, ist er viele Male mit dem Fahrrad in den frühen Morgenstunden auf dem Campus unterwegs gewesen – oder er hat gewartet, bis ein leichter Schneefall ihm die besten Kontraste beschert.

 

Zum künstlerischen Werk

Sein – wirklich meisterhaft – fotografischer Blick für einen eindrücklich inszenierten Motivausschnitt zeigt sich auch hier in der Ausstellung: Seine Landschaften wie seine Architekturmotive sind in jedem kleinsten Detail komponiert. Egal, ob es farbige Abstraktionen sind, kleine Formate oder Panoramabilder, – die Kompositionen mit Licht und Schatten, seine Symmetrien und Spiegelungen zeichnen sich durch höchste Präzision in der Gestaltung aus. Manche Landschaften und Architekturdarstellungen können als abstrakte Kompositionen wahrgenommen werden, so stark überwiegt die gestalterische Ordnung gegenüber dem Motiv.

Besonders gut lassen sich diese kompositorischen Strukturen in der längsten Fotoreihe im Süd-Ost-Gang sehen, denn es geht Walter Käsmair immer um die Gestaltung, die Wahrnehmung der Hell-Dunkel-Kontraste, der Spannung und Dynamik im Bild, die sich mit dem Motiv paart. In die Darstellung fließt das wohl kalkulierte Wahrnehmungsspiel zwischen den bildnerischen Gestaltungselementen und der Motivsuche des Betrachters ein.

Als freischaffender Fotograf widmete sich Walter Käsmair in seinem eigenen Werk vorrangig den „menschenleeren“ Landschaften und Architekturdarstellungen. Besonders fasziniert war Walter Käsmair von seiner Heimatstadt Augsburg und ihrem landschaftlichen Umfeld. Diese Motive schließen Menschen, die dort wohnen oder sich dort aufhalten, eigentlich ein. Doch er hat viel Energie darauf verwendet, Straßenzüge und die landschaftliche Umgebung menschenleer fotografieren zu können. Früh morgens beispielsweise sind die Straßen leer und das Licht ist besonders mild. Er widmete sich verlassenen Fabrikhallen, besonderen historischen Räumlichkeiten oder Augsburger Straßen und Plätzen, die er oftmals lange vor der üblichen Tageshektik aufsuchte. Natürliches Licht, meist insgesamt der Verzicht auf künstliches Licht, und ein spielerischer Umgang mit Schatten zeichnen seine Schwarzweiß-Fotografien aus.

Die vielen weichen Graustufen in den Fotografien waren ihm wichtig, deshalb verzichtete er meist auf einen Blitz, der doch nur harte Kontraste hervorbringen kann, so meinte er.

Architektonische Strukturen, Innenhöfe oder Straßenzüge fing er mit punktuellen Lichtstrahlen oder ganz lichtdurchflutet ein und erzeugte damit faszinierende Stimmungen in der urbanen Szenerie Augsburgs oder an den Flussläufen, die Augsburg durchziehen. Das menschenleere Augsburg wird in seinen Fotos manchmal fast zu einem sakralen Ort, - die Landschaften zu geheimnisvollen Orten, seine Bäume zu lebendigen Wesen, die dem Betrachter etwas zuzuflüstern scheinen, und das Wasser ist oft so präsent, dass man es scheinbar rauschen hört. Naturphänomene, Schluchten, Wolken, Bäume und Wälder hat Walter Käsmair ebenso gerne fotografiert wie Felder und weitläufige Blicke über das Land – neben Augsburg und seiner Umgebung.

Seit der Jahrtausendwende brachte Walter Käsmair Postkarten und Kalender mit Motiven aus Augsburg heraus. Hierfür suchte er die entlegensten Ecken in Augsburg auf: Türme, um ungewöhnliche Perspektiven zu erhalten, Innenhöfe, Gewölbe und Hinterhöfe, wegen besonderer Ansichten und Treppen, oder Mauern, die freie Sicht auf sonst Unsichtbares erlauben.

In einer Vitrine werden einige seiner Postkarten und Kalender präsentiert, die nochmals die wunderbare Atmosphäre und die eigene Stimmung in seinem Werk visualisieren. Die andere Vitrine gibt Informationen zu seiner Biografie. Dieser künstlerische Blick, den Walter Käsmair innehat, hat nichts zu tun mit den üblichen Postkarten- oder Kalendermotiven, die man als Stadtansichten kennt. Und es ist wirklich ein Glücksfall für Augsburg, dass es einen Fotografen gab, der die Stadt auf so liebevolle und doch zugleich spannungsvolle Weise porträtiert hat.

Während seine frühen Werke noch ordentlich in Fotoalben aufgeklebt wurden, gibt es später vor allem Mengen an Schachteln von Fotopapier, die er als Aufbewahrungsort für seine Abzüge wählte.

In den letzten Jahren hatte sich Walter Käsmair auch mit der neuen digitalen Fototechnik angefreundet und sich eine eigene Digitalkamera zugelegt. Farbbilder waren für ihn von diesem Zeitpunkt an kein Tabu mehr. Es entstanden farbige Kalender mit Baum-Ansichten und mit Landstrichen in sanfter Farbigkeit.

Auch für seine Architekturmotive war eine farbige Darstellung manchmal sinnvoll, beispielsweise wenn er die Deckengewölbe in Kloster Andechs oder die Innenansicht des Ulmer Münsters zeigt.

Die Ausstellung trägt den Titel „Panorama“. Denn Walter Käsmair hat sich in den letzten Jahren sehr stark mit den digitalen Möglichkeiten des hoch- und querformatigen Panoramabildes befasst. Seine Panoramabilder zeichnen sich durch einen immens großen Betrachterwinkel aus. Doch er nutzt hierfür keine spezielle, technisch aufwendige und teure Panoramafotokamera, sondern einen normalen digitalen Fotoapparat. Die einzelnen Fotos montiert er digital als Panoramabild zusammen. Das heißt, mehrere Einzelbilder einer weiträumigen Landschaft oder einer Architekturansicht setzt er im Anschluss mit der Software Photoshop in ein Panoramabild um.

Die Panaromafotos waren nicht unbedingt großformatig gedacht, sondern es sind die Blickwinkel, die Spiegelungen und Symmetrien, die Walter Käsmair interessierten, weil sie sich durch das Panoramaformat in besonderer Weise hervorheben und betonen lassen. Im Jahr 2013 ist sein Buch „Mein Augsburg“ fertig geworden, in dem er genau diese Gestaltungsmomente zeigt. Im dem Buch versieht er seine Panorama-Fotos sowohl mit interessanten Informationen zu den Motiven als auch mit sehr persönlichen Kommentaren. Mit dem posthum fertiggestellten Buch „Mein Schwaben“ (2017), woran Walter Käsmair bis zu seinem Tod gearbeitet hat, findet seine Panorama-Fotografie ihre Fortsetzung.

Die Panorama-Bilder eignen sich natürlich auch hervorragend, um in etwas größeren Formaten gezeigt zu werden – und so ist es uns gelungen, einige seiner letzten Hauptwerke auf Aluminiumplatten gedruckt auszustellen.

 

Persönliches Fazit

Als ich vor 16 Jahren nach Augsburg kam, war es Walter Käsmair, der mir „seine“ Stadt, die Stadt Augsburg, gezeigt hat. Zu Fuß, aber meist mit dem Fahrrad, hat er mich zur Kahnfahrt gebracht, oder mir das Kräutergärtchen am Roten Tor gezeigt. Wir haben entlang der alten Mauer das Domviertel erkundet und sind beim Biergarten Lug ins Land eingekehrt. Nicht die berühmten Bauwerke waren ihm wichtig, sondern das Besondere seiner Stadt, das er mir mitgegeben hat.

Nicht nur wegen Walter Käsmairs Lehrtätigkeit an unserem Lehrstuhl freue ich mich sehr, dass wir heute mit dieser Ausstellung an ihn erinnern können, sondern auch weil Augsburg ohne Walter Käsmair nicht das Augsburg wäre, was es heute für mich – und vermutlich auch für viele andere – ist. Sein künstlerisches Schaffen verändert den Blick auf die Stadt, seine Fotos zeigen ausgewählte Motive, die überhaupt nichts mit dem üblichen Knipsen zu tun haben, wozu wir in der digitalen Welt leicht verleitet werden. Aber Walter Käsmair hat sich auch in Zeiten seiner Digitalkamera nicht dem schnellen Foto angeschlossen. Kontemplation und Zeitlosigkeit spiegeln seine Fotos – und das geht nur mit sorgfältigen Kompositionen und leidenschaftlicher Motivsuche. Das Motiv musste zuerst auf ihn wirken und zu ihm sprechen, erst dann war es eine Aufnahme wert. Und so gelingt es dem Künstler unverwechselbare und für ihn charakteristische Werke zu schaffen, die uns an ihn erinnern, weil sie über das Schöne hinausgehen, Erstaunen hervorrufen, das Unermessliche aufzeigen und neue Sichtweisen auf Bekanntes ermöglichen.